Die Drag-Kunst machte sie zu dem Mann, der sie heute ist.

„Mein Name ist Boris. Meine Drag-Rolle ist Envy Peru.“
Envy (sie/ihr/Drag-Diva)
„Jede Perücke hat eine Geschichte.“ Das sind die Worte von Envy Peru, Gewinnerin des Drag Race Holland 2020, als sie das IKEA Team in ihrem Zuhause und Ankleidezimmer herumführt. Kunst, gesammelt und selbst gemacht, schmückt das ganze Zuhause. Kühlschrankmagneten, die sie, ihr Partner und ihre Mutter gesammelt haben, erzählen von Orten, die sie bereits besucht haben. In der Ecke funkelt eine Betty-Boo-Puppe, die sie in einem Laden in der Nähe entdeckt hat, ein Zeugnis aus einem goldenen Zeitalter voller glamouröser weiblicher Energie.
Aber Envys Geschichte begann nicht hier. Sie kam als vierjähriges Kind mit ihrer Mutter und Tante in die Niederlande. 30 Jahre später nennt die gebürtige Peruanerin Amsterdam ihr Zuhause.
Das Coming-out
Mit 21 offenbarte sich Boris seiner Mutter. „Ich wusste schon, was mit mir los war, ich hatte es bloß noch nie ausgesprochen“, erklärt sie. Für eine schwule Person ist das Leben in Amsterdam verglichen mit dem Leben in einem kleinen Dorf 20 Minuten außerhalb der Großstadt ein Unterschied wie Tag und Nacht. Boris konnte sich nicht ausdrücken, wusste aber nicht, warum. Als er sich seiner Mutter anvertraute, geschah das völlig ungeplant. „Wir stritten über irgendetwas und da schrie ich es einfach heraus: Ich bin schwul!“
Als lateinamerikanische Mutter konnte sie das definitiv nicht akzeptieren. Das war komisch für Boris, denn seine Tante schien es bereits gewusst zu haben. Tatsächlich wussten es alle. Envy glaubt, dass die Ablehnung ihrer Mutter darauf zurückzuführen war, dass sie einfach zu wenig über das Thema wusste. Die Vorstellung, dass ihr Sohn nicht heiraten und ihr keine Enkelkinder schenken würde, schmerzte sie sehr. In Peru hatte sie schon mal von LGBTQIA+ gehört, aber als es plötzlich um ihr eigenes Kind ging, traf es sie wie einen Schlag. Mit der Zeit akzeptierte sie es und unterstützt Boris heute uneingeschränkt. Der Frieden dauerte an, bis der nächste Schock kam: Boris wollte eine Dragqueen sein!
Drag
Envys Drag-Geschichte beginnt mit zwei Schwestern. Sie nannten sich Mermaids Mansion, weil sie die schönsten Queens in ganz Amsterdam waren (in Envys Augen). Sie gewannen gleich im ersten Anlauf den Super Bowl, einen Amsterdamer Drag-Wettbewerb, und machten sich einen Namen in der niederländischen Drag-Community. Heute sehen viele Menschen eine selbstbewusste, farbenfrohe Dragqueen, die laut und extravagant sein kann – oder eben auch nicht. Aber hinter Envy steckt eine Person, keine Rolle.
Liebesgeschichte
Envy verliebte sich in Andy, einen Geschäftsmann aus Großbritannien, der sich auch in der Drag-Kunst versuchte. „Mein Freund war wirklich von Anfang an dabei. Er zog vor sieben Jahren nach Amsterdam und wollte ebenfalls als Dragqueen auftreten. So fanden wir gleich eine Gemeinsamkeit.“ Für Andy war die Drag-Geschichte nur ein Spaß, den er wieder aufgab. Aber in Envys Leben blieb er, auf eine besondere Art und Weise. Envy hat das Gefühl, dass viele Menschen die Kunstform mögen, sie aber nur als Stereotypen wahrnehmen. Andy als Partner sieht ihn als das, was er ist.
Herausforderungen und Anfeindungen
Eines Nachts im Juni 2023 fuhr Boris mit dem Bus nach Hause. Eine Gruppe Männer kam auf ihn zu und beleidigte, schikanierte und verletzte ihn schließlich sogar. Der Angriff bewies, dass Amsterdam – sein Zuhause – doch nicht so fortschrittlich ist wie gedacht. Die Gewalt hatte emotionale Folgen und führte dazu, dass Envy sich in der Öffentlichkeit eher versteckte. Aber mit der Zeit und Andys Unterstützung fingen die Wunden zu heilen an. Dennoch möchte sie ihr Inneres noch immer schützen und unter Verschluss halten. So hartnäckig die Angreifer es auch versuchten, sie schafften es nicht „das Schwule aus ihm herauszuprügeln“, wie Envy sagt.
Liebe zu Hause
Zuhause ist Envys Glücksort. Ein Ort der Liebe und des Selbstausdrucks. Als sie sich outete, ihre Mutter es nicht verstand und sie nach Amsterdam zog, fand Envy ein Zuhause bei Freund:innen, die sie akzeptierten. Inzwischen haben sie und Andy sich ein eigenes Zuhause geschaffen, in dem sie sich rundum sicher fühlen. Und das Beste: Envys Mutter ist heute ihr größter Fan!

Wir haben Envy gefragt ...
Was würdest du einem jungen Menschen raten, der sich vor seinem Coming-out fürchtet?
Sei du selbst. Sei frei.
Wie können wir die LGBTQIA+-Community unterstützen?
Durch aktive Unterstützung. Nicht nur, indem ihr unsere Shows genießt. Seid Verbündete.
LGBTQIA+-Inklusion
Das Zuhause kann Quelle des Selbstbewusstseins, des Glücks und der Zugehörigkeit sein – besonders für Menschen aus der LGBTQIA+-Community. Wenn Akzeptanz und Integration gleiche Chancen für alle Sexualitäten und Identitäten schaffen, sind wir gemeinsam besser.