Minderheit plus Minderheit

«Ich hoffe, dass wir mit dem Erzählen von Geschichten das Leben anderer verändern können.»
Nancy (sie/ihr/they/them/unser), IKEA Mitarbeiterin
In ihrer Kindheit fühlte sich Nancy, eine IKEA Mitarbeiterin aus Malaysia, die selbst keine Malaysierin ist, immer als «Minderheit plus Minderheit». Mit ihrem indischen Vater und ihrer chinesischen Mutter hatte sie oft das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Dazu auch noch lesbisch zu sein, machte die Sache nicht einfacher.
Für Nancy war es schwer, eine andere ethische Zugehörigkeit zu haben als die anderen Kinder in ihrer Klasse. Sie passte in keine Kategorie. Auch im Beisein indischer oder chinesischer Menschen fühlte sie sich nicht akzeptiert, da sie nicht aussah wie sie. Als Nancys Eltern in den Siebzigerjahren heirateten, waren gemischte Ehen alles andere als beliebt. Auf einen Rückhalt aus der Familie konnte das Paar damals nicht zählen. Normalste Dinge wie der Erhalt eines Studienplatzes waren schwierig, obwohl sie gut in der Schule war und auch schwierige Fächer belegte.
Nancy wurde schliesslich Erzieherin und unterrichtete kleine Kinder. «Stellt euch mal vor, ihre Eltern hätten gewusst, dass ich lesbisch bin», ruft sie aus. «Dann hätte ich meinen Beruf an den Nagel hängen können. Ich hätte aufhören müssen! Ich musste also mein Privatleben geheim halten und vorsichtig sein.» Sie ertrug es nicht, so zu leben. Das Leben in einem streng religiösen Land bedeutete für sie, dass sie nie einfach nur sie selbst sein konnte. Ihr war klar, dass sie irgendwann in ein anderes Land ziehen würde.
Coming-out
Nancy sah nicht nur anders aus. Sie wusste auch schon früh, dass sie lesbisch war. Damals lebte sie noch in Malaysia. Für sie gab es kein grosses Coming-out. Nancy meint, dass die Menschen in ihrer Kultur keine grosses Wesen um ihr Coming-out machen. Es gibt keine förmliche Bekanntmachung. Vielmehr finden die Erkenntnis und das Akzeptieren im Innern statt. Mit ihren Eltern sprach sie nie explizit darüber. Stattdessen fing sie an, Partner:innen mit nach Hause zu bringen. Mit zunehmendem Alter fiel es ihr immer leichter, sie zu besonderen Anlässen nach Hause einzuladen. Auch ihre Eltern haben ihre Akzeptanz nie konkret in Worte gefasst. Dennoch hat sie das Gefühl, dass sie ihre sexuelle Orientierung auf ihre Weise akzeptiert haben.
Liebesgeschichte
Ihre Partnerin May lernte Nancy auf einer Dating-Plattform kennen. Fast hätten sie sich verpasst. Denn als May das Profil von Nancy anklickte, wollte diese sich gerade ausloggen. Ihre Liebe ist heute von gegenseitigem Respekt und tiefer Fürsorge geprägt. May stammt aus Thailand, lebt aber schon seit 35 Jahren in Grossbritannien. Nancy zog aus Malaysia weg und lebte dann sechs Jahre lang in Singapur, bevor sie nach Malaysia zurückkehrte und May traf.
Nach einiger Zeit einigten sich Nancy und May darauf, dass May ebenfalls nach Malaysia ziehen würde, damit sie zusammen sein konnten. Doch schon nach drei Monaten in einem Land mit derartig vielen Restriktionen zeigte sich May gestresst. Schliesslich lebte sie seit 20 Jahren offen lesbisch und wollte sich nicht wieder verstecken müssen. Dass sie Nancys Hand nicht in der Öffentlichkeit halten konnte, entsprach nicht der Liebesgeschichte, die sie sich vorgestellt hatte. Für May wurde die eigene Homosexualität in einem konservativen Land sofort zu einem Problem. Daher schlug das Paar eine neue Richtung ein und zog nach Grossbritannien.
Probleme und Hass
Als Nancy von Singapur nach Malaysia zurückzog, wurde sie eines Nachts beim Ausgehen Opfer von Gewalt. Sie war mit einer Gruppe von Freund:innen unterwegs. Auch ihre damalige Partnerin (vor May) war dabei. Beim Verlassen eines Clubs wurde das Paar von einer Gruppe Männer belästigt. «Ich wurde zusammengeschlagen. So schlimm wie noch nie», erklärt sie. Dass ihre Freund:innen, mit denen sie im Club gewesen war, den Vorfall mit ansahen, aber nichts unternahmen, machte die Sache noch schlimmer. Als sie in Singapur lebte, hatte sie erlebt, dass Menschen aus der LGBT+ Community hin und wieder angepöbelt wurden. Aber in Singapur half man sich gegenseitig. Dass es in Malaysia so anders war, schockierte sie. Ihre Freund:innen gaben vor, sie nicht zu kennen. Sie musste mit den Angreifern allein fertig werden. Es fühlte sich an wie völliger Verrat. Im Nachhinein versteht sie jedoch das Dilemma ihrer Freund:innen. Schliesslich waren gleichgeschlechtliche Beziehungen in Malaysia strafbar. Auch ihre Freund:innen waren homosexuell und es gab keine Gesetze zum Schutz der LGBT+ Community vor Diskriminierung oder Hassverbrechen.
Ganz sie selbst bei IKEA
«IKEA ist ein wichtiger Teil meiner Geschichte», sagt Nancy. Ich lebe in Grossbritannien. «Hier bin ich ganz ich selbst.» «Aber besonders stolz bin ich darauf, dass ich mich auch hier bei der Arbeit nicht verstecken muss.» Bevor sie zu IKEA kam, hatte sie bei früheren Unternehmen immer das Gefühl, dass sie – egal, wie viele Leistungskennzahlen (KPIs) sie auch erfüllte – nie für eine Beförderung oder Vertretung in Betracht gezogen wurde. Es galten nie die gleichen Bedingungen für alle.
Nancy kam vor zehn Jahren zu IKEA und stieg ziemlich schnell die Karriereleiter hoch. Derzeit arbeitet sie als IKEA Food Teammanagerin. Als Führungskraft ein Team von Menschen zu leiten, mag für manche nichts Besonderes sein, aber für Nancy geht es darum, gesehen zu werden. Durch die Besetzung einer Führungsposition mit einer LGBT+ Person zeigt IKEA für alle sichtbar seine Unterstützung. In ihrem eigenen Team achtet sie bei Neueinstellungen auf Vielfalt, um die Inklusion zu fördern. Sie hat ein Team von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zusammengestellt. Ihr Weg dahin, sich selbst zu akzeptieren, führte bei ihr zu einer Art Aktivismus. Sie will nun auch andere bei der eigenen Akzeptanz unterstützen.
Liebe zu Hause
Für Nancy stellt sich die Liebe zu Hause heute anders dar. Sie hat erkannt, dass Liebe sich auf unterschiedliche Weise zeigen kann. In Malaysia vermeiden sie und ihre Partnerin es, ihre Zuneigung vor der Familie zu zeigen. Doch sie weiss, dass ihre Familie ihre Beziehung akzeptiert. «Immer, wenn meine Mutter etwas an mir auszusetzen hat, spricht sie zuerst mit May. So gesehen sind wir also wie ein klassisches Paar.»
Zu Hause in Grossbritannien und zusammen mit May hat Nancy das Gefühl, dass sie frei atmen und ganz sie selbst sein kann. Sie zweifelt nie an Mays Liebe, da sie von ihr in jeglicher Hinsicht unterstützt wird. Es gab eine Zeit, als May drei Jobs hatte, damit Nancy das erforderliche Einkommen für ihr britisches Visum nachweisen konnte. Auf der Strasse befürchtet Nancy immer noch, dass die Menschen sie schief ansehen könnten, weil sie lesbisch ist. Doch in ihrem gemeinsam mit May aufgebauten Zuhause fühlt sie sich vollkommen sicher – zusammen mit der «Liebe ihres Lebens».

Wir fragten Nancy ...
Was würdest du einem jungen Menschen sagen, der Angst hat, sich zu outen?
Umgib dich mit deinesgleichen.
Wie kann man die LGBT+ Community unterstützen?
Hört euch an, was wir zu sagen haben.
Inklusion von LGBT+
Selbstvertrauen, Glück und ein Gefühl von Zugehörigkeit können im eigenen Zuhause entstehen und wachsen – insbesondere bei Menschen der LGBT+ Community. Gelingt es mit Akzeptanz und Inklusion gleiche Chancen für alle sexuellen Orientierungen und Identitäten zu schaffen, sind wir gemeinsam besser.